Raphael

 

Eine spannende Geschichte: „Raphael“ … life…

Montag, 2. 5. 2011: Meine Nachbarin rief mich an und sagte, ihrem weißen Kater „Raphael“ gehe es nicht gut. Wir sind zusammen zum TA gefahren und haben ihn dort untersuchen lassen, weil er mir so aussah als ob er sich zum Sterben gelegt hatte. Ich mag nicht, dass eine Katze stirbt, wenn ich nicht weiß warum – denn dann weiß ich auch nicht, ob es mit wenig Kosten und Aufwand vermeidbar gewesen wäre.  Das hat mich  in diesem Fall durch die Arztwahl 142,50 € aus eigener Tasche gekostet.  Kann sein, es war verrückt von mir, das zu tun – aber so bin ich eben im Ausnahmefall: Er war auch eine von „unseren“ Katzen, denn ich hatte der Nachbarin diesen Kater vor 16 Jahren als jungen Kater gegeben.

Mein Riecher in Sachen Katze hat mich aber nicht getäuscht: Der Kater wäre an schlechten Zähnen gestorben, denn er hat wohl schon lange fast nichts mehr gefressen, weil er ein völlig vereitertes Maul hatte. Sonst, d.h. organisch, hatte er nichts, schien es… Nun muss ich wohl also auch noch die ca 500.- € für den Zahnarzt bezahlen, denn die Nachbarin hat selber nicht genug für sich zum Leben…

„Raphael“, benannt nach dem Erzengel der Heilung, ist  ein Bruder meiner Katze „Winzig“, der wir voriges Jahr auch schon (für 750.- €) die Zähne haben machen lassen, auch viel zu spät, denn die Symphyse war durch die Vereiterung schon auseinander gegangen, so dass der Unterkiefer nach der Zahnsanierung verschraubt werden musste… 

Sicher versteht jeder, warum ich Katzen lieber an etwas besser betuchte Mitmenschen abgebe oder an solche, die vorsorgen können und wollen oder die eine Krankenversicherung für ihre Katze(n) abzuschließen bereit sind…

Nachtrag vom 6. 5. 2011:

Wir haben die Blutwerte vom Kater 2 Tage später bekommen und erfahren, dass er nicht nur schlechte Zähne hat, sondern auch noch eine sehr starke akute Bauspeicheldrüsenentzündung (Lipasewert = 50 statt 5! so einen hohen Wert habe ich noch nie vorher gesehen) – und noch dazu hat er bereits eine Fettleber vom Verhungern. Die entsteht ab dem 5. Fastentag durch Hungern,  Raphael hatte grob geschätzt (von 2 TÄ) seit mehr als 4 Wochen nichts mehr gefressen.

Mit Fettleber und Pankreatitis sind für mich persönlich sehr aufreibende und schmerzliche Erinnerungen verbunden, denn ich habe selber vor Jahren monatelang um das Leben meiner Katze  „Shiva“ mit Fettleber gekämpft und diesen Kampf verloren, weil sich letztlich herausgestellt hat, dass „Shiva einen Pankreaskopftumor hatte… In diesem Fall hat der Kater „NUR“ eine akute und evtl such eine chronische Pankreatitis und eben bereits eine durch langes Hungern erzeugte Fettleber. Beides sorgt dafür, dass ihm übel ist und dass er gar nichts fressen möchte. Er wiegt noch 2940 g. Da er einen großen Körperbau hat, besteht er nur noch Haut und Knochen. 

Er hat natürlich sofort die notwendige tierärztliche Grundversorgunge bekommen, d.h. Antibiose und Prednisolon, Cerenia (gegen Übelkeit) und Metacam (Schmerzmittel) für den Fall von Schmerzen im Maul oder im Bauchbereich, die ihn am Fressen hindern könnten… Das ist aber nur die eine Hälfte dessen, was nötig ist, um eine Genesung zustande zu kriegen.

Akute und Chronische Pankreatitis sind die fiesesten Erkrankungen, die ich kenne, denn sie wären meistens heilbar, wenn wir Halter

1. eine Katze, die nichts frißt, füttern könnten. Dazu braucht man einen Menschen, der sie festhält, man muss den Griff kennen, mit dem man den Kopf der Katze so nach hinten dreht, dass man ihr nicht das Genick bricht, sie aber das Maul öffnet (dh.. man muss es TECHNISCH können), damit man den Nahrungsbrei reintun kann. Die kranke Leber regeneriert sich (wie beim Menschen) komplett – aber nur, wenn die Katze jeden Tag mindestens 60 g (besser wären 120 g) Katzenfutter, verteilt  auf möglichst viele Mahlzeiten, zu sich nimmt.   

2. so viel Wisser darüber haben, dass wir selber wissen, dass die Katze anfangs AUF JEDEN FALL mindestens jeden 2. Tag eine Infusion von ca 120 ml braucht – denn sie hat ja wochen- oder monatelang keine Nahrung zu sich genommen oder sie durch Durchfall nicht verwerten können. Diese Infusionen muss man auch selber zu Hause tätigen können, wenn man die schwache kranke Katze nicht jeden Tag zum TA mitnehmen will oder kann… D.h. man braucht das Wissen, die Fähigkeiten, das Geld und die Ausrüstung…

Pankreatitis ist eine häufig vorkommende Erkrankung, die meist zum Tode führt, wenn der Halter nicht früh genug merkt, dass seine Katze lange nichts frißt. 

Tatsächlich hängt das Überleben der Katze in diesem speziellen, aber häufig vorkommenden Erkrankungsfall (wenn die Erkrankung nicht durch Pankreastumor ausgelöst wurde) vom Wissen, der handwerklichen Geschicklichkeit und den Fähigkeiten ihres Halters ab, an den hohe Anforderungen gestellt sind. Wenn er es selber nicht zustande kriegt, kann er die Katze in eine Klinik bringen oder er muss sich andere Hilfe suchen, z. B. bei kooperativen Tierärzten (die z.B. füttern können und oder stationär aufnehmen) oder auch bei Tierschützern, die Erfahrung damit haben und bereit sind, sich die viele Arbeit anzutun…

13. 5. 2011

Ich habe Raphael jetzt seit 5 Tagen tagsüber bei mir zu Hause, weil die Halterin das Kraftfutter, das er zu sich nehmen soll, nicht reinkriegt. Er verweigert, matscht rum, versteckt sich, guckt leidend oder doch wenigstens vorwurfsvoll.

Die Nachbarin leidet nun darunter, dass sie den Kater, den sie schon so lange hat und liebt, selber nicht retten kann, weil sie das nötige Futter nicht reinkriegt. Sie leidet unter dem Prestigeverlust, den es für eine „Katzenfrau“ wie sie bedeutet, dass sie ihre Katze nicht füttern kann. Sie leidet darunter, dass er möglicherweise trotz meines hohen arbeitstechnischen und finanziellen  Aufwands, sterben wird (was die drei engagierten Tierärzte alle verneinen). Sie leidet darunter, dass sie selber nicht genug Zeit und Geld hat, um selber das Leben ihrer Katze retten zu können, sie schämt sich dafür, dass der Kater vielleicht nur dank unserer Vereinskasse und dank unserer leidvoll erworbenen Erfahrung mit dieser Krankheit überlebt. Und eigentlich kann sie sich auch keine alte, kranke Katze leisten. Auf jeden Fall will sie nicht, dass ihre Katze nach einem langen und gesunden Leben noch kostenpflichtig von Tierärzten zu Tode gequält wird – was sie schon einmal mit der vorigen Katze erlebt hat. Und irgendwie hatte sie mich zwar um Hilfe gerufen als sie gemerkt hatte, dass mit ihrem Kater etwas nicht stimmt – aber dass ich mich nun so in ihr Leben als Katzenhalterin einmische und bestimme, was mit ihrer Katze geschieht, das will sie nicht. Sie muss es übrigens auch nicht dulden, denn diese Katze gehört ihr und nicht mir, deshalb habe ich eigentlich nichts darüber zu bestimmen. Sie ist immer hin und her gerissen zwischen der Freude darüber, dass die Heilung des Katers offenbar doch gelingt (wie es jetzt scheint) und dem Ärger darüber, dass ich ihr alles aus den Händen genommen und über ihren Kopf hinweg bestimmt habe. Das letztere stimmt teilweise. Ich war auch manchmal grob mit ihr, denn ich meinerseits war geschockt darüber, dass jemand, der sich für einen Katzenkenner hält und seit 50 Jahren mit Katzen lebt und nur 2 Katzen hat, nicht merkt, wenn eine davon 4 Wochen lang nichts frißt. Und sich dann auch noch gegen die mögliche Heilung sträubt.

Also habe ich den Kater vor 5 Tagen in Tagespflege zu mir genommen, weil mir schien, dass er zu Hause nicht genug zu fressen kriegt. Eine Fettleber verschwindet nämlich auch dadurch wieder, dass der Patient regeömäßig genug frißt. Ich hole ihn nun jeden Tag um 10 Uhr ab, fahre mit ihm zum Tierarzt, er bekommt jetzt täglich Infusion und Prednisolon – danach behalte ich ihn bis etwa 20 h abends und füttere ihn alle 2 Stunden. Er ist sehr brav und hat auch kaum Kraft, so dass er sich der Fütterung schlecht widersetzen kann. Es scheint mir sogar so, dass es ihm Spaß macht, gefüttert zu werden. Meine Fütterungstechnik habe ich von Dr. S. abgeguckt. Sie ist für mich neu und sehr einfach:

Wir rühren eta 15 g Kraftfutterpulver  (RC Rekonvales. das ist 1/3 Päckchen) mit Wasser zu einem nicht ganz festen Brei an, der am Finger klebt – und Raphael leckt den Brei vom Finger ab, wenn ich ihn ihm vor die Nase halte. Das geht ganz gut. Eine Mahlzeit hat 20 – 30 g, davon braucht er 4 – 5 pro Tag. Zwischendurch gibt es Reconvales Tonikum, ein sehr teures Getränk, das wie Schokolade riecht – und das schleckt er bereitwillig vom Esslöffel, heute eine dreiviertel Flasche.

Der Aufwand an Zeit und Nerven ist groß,  aber es hat sich wohl schon gelohnt: Heute hat sich der Kater auf Hähnchenbrustaufschnitt gestürzt, den ich in den Fingern hielt und hat ihn mir so vehement entrissn, dass er mich dabei gezwackt hat. Dann hat er den Aufschnitt genüßlich verzehrt. Kein Wunder: Wer will schon dauernd Schokolade reingetan kriegen…

Wir sind also froh und vorsichtig optimistisch was Raphaels Heilung angeht.

15. Mai 2011

Raphael frißt bei uns relativ widerstandslos seinen Brei von RC namens Convalescence support. Eine Tüte pro Tag, abgerührt mit Wasser, reicht absolut aus für eine Ernährung, mit der er wieder zu Kräften kommt.

Er ist bei uns freundlich und interessiert, geht auf dem Hof spazieren, besucht die anderen Katzen in der Katzenwohnung hinten. Er ist sehr lieb und aufmerksam – und kommt zu mir an den Frühstückstisch, er kommt auch raus, wenn menschlicher Besuch die Wohnung betritt. Und er spielt (Bindfaden jagen) – das alles vorausgesetzt man rührt ihm alle 3 Stunden seinen Brei an und sorgt dafür, dass er ihn frißt, indem man ihm den Brei vor die Nase stellt und ihm sagt, dass er ihn auffressen soll. Manchmal muss er dazu animiert werden, mit dem Fressen anzufangen, indem man ihm einen Teelöffel voll Brei so an die Schnauze hält, dass er ablecken muss. Das ist noch nicht ganz eine Vorgehensweise, die ich „Zwangsernährung“ nennen würde. Denn der Kater frißt von selber aus seinem Napf, wenn er erst mal angefangen hat.

Erstaunlicherweise froßt Raphael seinen Brei bei uns williger als bei seinem Frauchen, die auch nicht unbedingt möchte, dass er weiter lebt… wie ich ein paar Tage später erfuhr, erlebte…

Ich war nämlich am Wochenende vom 16. 5. verhindert, mich um Raphael zu kümmern und musste auch meinen sehr schwer kranken (eingebrochenen) Samy vorn einzeln in der Stube zur beobachtung halten, sio dass ich raphael für 3 Tage seiner Halterin zurückgebracht habe mit der Anweisung, ihn zu füttern und ihm sein Prednisolon zu geben…

Beides hat sie nicht gemacht, so dass ich am darauf folgenden Montagmorgen einen sehr schwer kranken und sehr schwachen Kater bei ihr abgeholt habe, der bei mir tüchtig gefressen hat und dann wieder auf unserem Hof spazieren gehen wollte.

Und dann habe ich einen fatalen Fehler gemacht: Zwar bin ich mit ihm auf den Hof gegangen um zu verhindern, dass er Gras oder etwas anderes frißt, was Erbrechen auslöst. Denn dadurch würde er ja die aufgenommene und lebenswichtige Nahrung wieder von sich geben. Gras gibt es nicht auf unserem Hof – aber ich habe nicht bedacht, dass es Stroh gab in dem dort aufgestellten Katzenhaus. Raphael verschwand also umgehend in diesem Katzenhaus und frass Stroh (womit ich überhaupt nicht gerechnet hatte!), weil ihm schlecht war oder weil er den gefressenen Brei wieder loswerden wollte. So ging es dann auch: er erbrach sich, bekam dabei Schmerzen, war nicht mehr anfassbar von mir, im Gegenteil: der bisher ganz liebe Kater hatte Bauchweh vom Stroh im Bauch und hat mich beim Streicheln plötzlich so in die Hand gebissen, dass mein Blut spritzte… und das mit seinen halbverfaulten Zähnen, was ein hohes Erkrankungsrisiko für mich bedeutete (Blutvergiftung!). Ich bin also selber um 2 Minten vor 18 h noch schnell zum Arzt gerast, um mir Antibiotika für MICH zu holen – denn solche Katzenbisse von Katzen mit schlechten Zähnen sind wegen der anhaftenden Streptokokken meist mit einem hohen Infektionsrisiko für den Gebissenen verbunden.

Abends habe ich den von mir nicht mehr anfassbaren Kater zu seiner Halterin zurückgebracht.  Diese hat ihn über Nacht in seinem großen Weidenkorb in ihren hinteren Flur gestellt, weil er taumelig war und unter sich gemacht hat: der Sterbeprozess war schon eingeleitet. Am nächsten Morgen habe ich ihn zum Tierarzt gebracht, der ihn erlöst hat. Damit war Raphael einverstanden. Er wäre vermutlich auch einverstanden gewesen damit zu Hause von selber zu sterben – aber dies zieht sich oft noch etliche Tage hin, manchmal auch mehr als eine Woche – und das mitansehen zu müssen ist für einen Menschen, der das von ihm geliebte und so lange als Freund und Familienmitglied erlebte Tier verliert, nicht so einfach…

Renate im Mai 2011

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Die Seite wurde zuletzt geändert am 11 Januar 2012.