Unser Ted hat keine Seele?

UNSER TED HAT KEINE SEELE?

 Ein Wahrheitsmärchen

 Von Heike Heinze

 Als unsere weiße Katze Chuchi starb, lag ich neben ihr. Die letzten Sekunden ihres Seins sah sie mich dankbar an, und dennoch lag Scham in ihren blauen Augen, als wollte sie sagen: „Verzeih mir, weil ich dich jetzt verlassen muss…“ Sie seufzte leise, so wie ein kleines Mädchen. Und als ihre unsterbliche Seele, die siebzehn Jahre in dieser wuscheligen Schönheit gewohnt hatte , den Körper verließ, hörte ich ein leises Knacken. Kaum wahrnehmbar, leichter und zarter als die feinste Feder.

Wir beerdigten Chuchi unter einem Hollunderbeerbaum. Unter Tränen bepflanzte ich ihr Grab und flüsterte ihr zu, wir würden uns ja irgendwann nach diesem Leben wiedersehen, wo auch immer. Da stiegen aus dem in der Nähe liegenden Fluss – wie aus dem Nichts -an die hundert schwarze Vögel zum Himmel empor, und mittendrin flog eine schneeweiße Möwe. Ich ging. Nun war ich sicher. Wir treffen uns wieder.

 Dann kam Ted, ein lustiges Einzelkaterkind, das spricht. Ted tobt durch die Gegend, bringt tote und lebende Geschenke ins Haus, springt als Frühaufsteher gern unentwegt über schlafende Köpfe und ist besonders am Morgen eine Quasselstrippe. Wir geben uns die Klinke in die Hand, weil Ted ein „Raus- und Reinwoller“ ist.

Eines Tages, als er mal wieder auf seiner Lieblingseiche saß und grübelte, wie er die beinahe doppelt so große Krähe auf dem Nachbarbaum erbeuten könnte, las ich eine Zeitungsüberschrift laut und ungläubig vor: „In der katholischen Kirche haben Tiere keinen Platz.“ und „Tiere haben keine Seele… Hm…weiß Oma das?“ Ted spitzte die Ohren, er versteht nämlich jedes Wort. Die Kirche ist ihm schnurz, da gibt’s bestimmt keine Mäuschen. Und wenn, ganz dünne. Aber ihm sein Seelchen abzuerkennen, ließ ihm beinahe die Balance verlieren. Was stand näher, als Oma, die ja bei jedem Wetter sonntags in die Kirche rannte, alles zu erzählen? So hangelte er sich rückwärts den Baum hinunter, ließ Vogel Krähe sein, und lief erst mal zu Oma, petzen. Außerdem hat sie die tollsten Leckerchen der Welt, obwohl dort dieser hochnäsige, alte Knackerkater wohnt, der nicht mal grüßt. Aber schließlich ging es ja auch um seine Seele!

Oma tischte auf. Doch Ted, dem der Zahn tropfte, legte sich nur zusammengekrümmt auf das alte Plüschsofa und wollte vor dem Ausplaudern erst mal ein bisschen weinen, um Oma einen Schreck einzujagen. Anfangs gelang es nicht. Er dachte an entwischte Beute, die frechen Dorfkatzen, die ihn wegen seines langen Fells immer auslachen und schließlich… an sein Seelchen. Nun klappte es tadellos! Er heulte wie ein Schlosskater und wollte sich auch nicht beruhigen, als Oma ihr Gebiss herausnahm, um sich deutlicher in der Katzensprache mit ihm zu unterhalten. Zum Ärger musste er zusehen, wie Knackerkater all seine Leckerlies wegfraß. Noch mehr Gründe, seinen Tränen freien Lauf zu lassen! Mit der letzten Kraft eines Ertrinkenden hob er sein Pfötchen und tippte auf die Zeitung. Oma suchte nun ihre Lesebrille, die sie natürlich ohne ihre andere Brille auf der Nase nicht gleich fand und irgendwann ertastete. Sie setze sich gemächlich neben Ted, schlug die Seiten auf, las, schüttelte mit dem Kopf und traute ihren Augen nicht. Darf etwa ihr alter Kater, der ihr nicht von der Seite weicht, wenn ihre Gesundheit nicht so mitspielt, keine Seele haben? Wird sie ihm später im Himmel nie begegnen? Bezahlt sie mit ihren 86 Jahren etwa immer brav und pünktlich Kirchensteuer, um schließlich aus diesem „Käseblatt“, wie sie die Zeitung nennt, etwas Derartiges zu erfahren?

Kurz und gut: Oma hatte sich in ihrem Leben noch nie bevormunden oder Blödsinn weismachen lassen, schon gar nicht von alten Männern, die Tieren das Heiligste verwehren. Das ist für sie ein rotes Tuch! Rot ist übrigens Ted’s Lieblingsfarbe…

Sie hat, modern wie sie ist, Feder und Papier zur Hand genommen, ihrer Gemeinde einen gepfefferten Brief geschrieben, hat der Kirche adieu gesagt und schläft nun auch sonntags aus. Denn wo auch immer sie einmal sein wird, möchte sie auf ihre Freunde, die Tiere, nicht verzichten. Sie waren und sind ihre Lebensbegleiter.

Ted hat uns übrigens gesteckt, wo sie jetzt ihre Mäuse an den Mann – oh, an das Tier – bringt. Das soll vorerst unser Katzenehrenwort-Geheimnis bleiben. Aber wie ich Ted kenne, wird er sowieso nicht dicht halten…

 Foto von Kater Ted

 

 

 

Die Seite wurde zuletzt geändert am 21 März 2013.